Gewalt ist inakzeptabel. Trotzdem ist häusliche Gewalt eine Realität, die auch vor der Stadt Wil nicht Halt macht. Gewalt im privaten Umfeld kann das Leben der Betroffenen nachhaltig zerstören. Mehrheitlich, wenn auch nicht ausschliesslich, sind Frauen betroffen. In schweren Fällen endet diese Gewalt tödlich: In der Schweiz wird durchschnittlich alle zwei Wochen ein Femizid verzeichnet.
Häusliche Gewalt entsteht dabei nicht im luftleeren Raum, sondern ist eingebettet in eine Gesellschaft, in der Frauen oft abgewertet werden. Ein wichtiges Erklärungsmodell ist die Gewaltpyramide: Patriarchale und misogyne Einstellungen führen zu Alltagssexismus oder starren Rollenbildern, was oft als harmlos abgetan wird. Darauf bauen psychische Gewalt wie Drohungen, Einschüchterung oder Stalking und körperliche Gewalt auf. Im schlimmsten Fall führt diese Dynamik zu Vergewaltigung oder Femizid.
Häusliche Gewalt ist in vielen Fällen nicht ein einzelnes Ereignis, sondern ein wiederkehrender Kreislauf. Fachleute sprechen vom „Gewaltkreislauf“, in dem sich Phasen von Kontrolle, Gewalt, Schuldverschiebung, Versöhnung und erneuter Eskalation abwechseln. Dies macht es für Betroffene besonders schwer, aus der Beziehung auszusteigen und unterstreicht die Wichtigkeit eines geschulten Umfelds und zugänglicher Hilfsangebote. Der unmittelbare Schutz und die notwendige Betreuung für Betroffene, insbesondere Frauen, werden im Kanton seit vielen Jahren zentral in der Stadt St. Gallen organisiert (Frauenhaus, Opferhilfe, Beratungsstellen). Diese Strukturen sind auf eine grosse Region sowie Anonymität angewiesen und können in dieser Form nur am Standort St. Gallen bestehen. Dennoch gibt es auch auf lokaler Ebene Massnahmen, die ergriffen werden können. Die Stadt Wil hat in diesem Bereich noch erhebliches Potenzial. Die vorliegende Interpellation will die Behörden motivieren, im eigenen Wirkungsbereich einen verstärkten und wirksamen Beitrag zu leisten, um Betroffene zu stärken und die gesellschaftliche Sensibilisierung zu fördern.
Im Einklang mit der von der Schweiz ratifizierten Istanbul-Konvention hat der Bund einen nationalen Aktionsplan verabschiedet. Einige Massnahmen richten sich explizit an Städte und Gemeinden. Die Massnahmen sind generell auf folgende drei Schwerpunkte ausgerichtet:
- Information und Sensibilisierung der Bevölkerung
- Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen und ehrenamtlich tätigen Personen
- Prävention und Bekämpfung von sexualisierter Gewalt Die Stadt Wil kann und soll als regionales Zentrum einen konkreten Beitrag in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit sowie Aus- und Weiterbildung leisten.
Mögliche Handlungsfelder für die Stadt Wil
Gezielte Weiterbildung und Sensibilisierung lokaler Akteure für Sozialberatungsstellen, Polizei, Lehrpersonen, Jugendarbeit und weiteren Fachstellen, in Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen wie der Opferhilfe und des Frauenhaus St. Gallen. Es ist wichtig, dass z.B. Lehrpersonen Verhaltensmuster von Schülerinnen und Schülern erkennen und richtig interpretieren können. Das Eidgenössische Departement des Innern stellt für verschiedene Berufsfelder Informationen unter dem Titel «Minimalstandards für die Aus- und Weiterbildung» zur Verfügung.
Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen
- Aktive Teilnahme an der internationalen Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ sowie Teilnahme an Kampagnen mit u.a. Informationsmaterial bestellen und gezielt verteilen, sowie generell Kampagnen durch Potenzierung auf den eigenen Kanälen (Insta, homepage der Stadt u.a.) verstärken (z.B. link zu toxiclove.ch). Dabei sind sichtbare lokale Aktionen wichtig wie beispielsweise Informationskampagnen in z.B. Stadtbussen, Kinos, Kooperationen mit Gewerbe, Gastronomie und Kulturinstitutionen, Schulen, Bibliothek und Museum etc.. Warum nicht einmal die Ausstellung «Willkommen zu Hause» ausleihen und in Wil zeigen?
- Wichtige Informationen für Betroffene müssen einfach auffindbar sein, was aktuell nicht der Fall ist. Informationen auf der Webseite der Stadt Wil zum Thema wie beispielsweise Telefonnummer des Frauenhauses oder Beratungsangebote fehlen. Es sollte klar sein, wo und wie Betroffene sich informieren und melden können.
- Sensibilisierungsarbeit, damit die Bevölkerung Anzeichen häuslicher Gewalt besser erkennen und richtig reagieren kann, sowie Gewaltpotential reduziert wird
Vernetzung und Koordination
- Regionaler runder Tisch mit der Koordinationsstelle für Häusliche Gewalt und Menschenhandel auch in Wil (Fürstenland) etablieren. Dieser Runde Tisch existiert schon seit Jahren in den Regionen des Kantons; nicht aber in Wil (Fürstenland).
- Aufbau einer dauerhaften Vernetzung von Behörden, Polizei, Fachstellen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Wil
- Unterstützung einer Bewegung oder eines Vereins, der in enger Zusammenarbeit mit der Stadt eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung sicherstellt
Fragen an den Stadtrat
- Wo sieht der Stadtrat Möglichkeiten, im Rahmen seiner Zuständigkeiten durch gezielte Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit einen wirksamen Beitrag gegen häusliche Gewalt auf allen Stufen der Gewaltpyramide zu leisten oder bestehende Bemühungen zu verstärken? Welche aktuellen Massnahmen gegen häusliche Gewalt existieren auf Ebene Stadt Wil?
- Ist der Stadtrat bereit, Weiterbildungsangebote für Polizei, Sozialdienste, Schulen und weitere Schlüsselinstitutionen in Zusammenarbeit mit Fachstellen (z. B. Frauenhaus, Koordination für Häusliche Gewalt und Menschenhandel, Opferhilfe und Bildungsstelle häusliche Gewalt) zu unterstützen oder zu initiieren?
- Plant der Stadtrat, sich durch einen regionalen Runden Tisch (wie das andere Regionen seit Jahren pflegen) aktiver in die kantonale Koordinationsarbeit einzubringen und eine solche Plattform mit dem Kanton auch für die Region Wil/Fürstenland zu etablieren?
- Welche Mittel und Strukturen sieht der Stadtrat vor, um einen kontinuierlichen Prozess in der Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung zu gewährleisten – beispielsweise durch die Beteiligung an Kampagnen oder die Förderung einer lokalen Trägerschaft/Vereinsstruktur und/oder Erstellen eines Aktionsplans?
Link zur Interpelation