Unser Wohlstand steht auf dem Spiel

Rede des Kantonalpräsidenten anlässlich der Mitgliederversammlung vom 16.08.2018

Sehr geehrter Herr Nationalrat,
Sehr geehrte Frau Kantonsratspräsidentin
Sehr geehrte Herren Regierungsräte,
Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident,
Sehr geehrte kantonale und kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger,
Sehr geehrte Freisinnige

Wir dürfen heute wieder über 100 Mitglieder hier in Gähwil begrüssen. Grandios: Ganz herzlichen Dank für Ihr Kommen!

In einem Jahr werden wir uns mitten in der heissen Phase des National- und Ständeratswahlkampfs befinden. Auf allen Ebenen treiben wir dafür die Vorbereitungen voran. Aber auch thematisch sind wir schon stark im Wahlkampfmodus. Sowohl auf Bundesebene als auch in unserem Kanton. In mehreren Bereichen stehen richtungsweisende Entscheide an. Solche, die unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit über Jahre positiv oder eben auch negativ beeinflussen könnten.

Gesprächsverweigerung: Sehr unschweizerisch!

Ich möchte zuerst auf die Europapolitik eingehen. Aktuell laufen die Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen. Eine Einigung im laufenden Jahr ist aber unwahrscheinlich geworden: Die flankierenden Massnahmen sind der EU ein Dorn im Auge. Gleichzeitig sind diese flankierenden Massnahmen innenpolitisch von zentraler Bedeutung. Dennoch steht der Angriff von Ständerat Paul Rechsteiner bzw. des Gewerkschaftsbundes und von Travailsuisse auf unseren Bundesrat Johann N. Schneider-Amman quer in der Landschaft. Die beiden Dachverbände der Arbeitnehmenden haben letzte Woche Gespräche verweigert und sind damit auf Konfrontationskurs mit dem Bundesrat gegangen. Sie steigen also mit der SVP ins gleiche Bett, welche die Verhandlungen mit der EU schon von Beginn an torpediert hat. Nun wird es gefährlich! Sowohl die populistische Rechte als auch die etatistische und sozialistische Linke stellen unser Verhältnis zur EU fundamental in Frage und verschliessen die Augen davor, dass es für Verhandlungen immer zwei Partner braucht, die sich einig werden. Werden die EU und die Eidgenossenschaft sich nicht einig, so droht unserem Werk- und Forschungsplatz grosses Ungemach: Zum Leidwesen der gesamten Gesellschaft. Bei diesen Vorgängen zeigt sich eine Entwicklung der Schweizer Politik, die mir Sorge bereitet. So sind die Akteure an den Polen des politischen Systems nicht mehr gesprächsbereit und bieten nicht mehr Hand zum Kompromiss. Gerade aber der Kompromiss zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebern, zwischen Rechts und Links, zwischen Liberalen und Konservativen ist einer der wichtigsten Faktoren für unser erfolgreiches politisches System und damit für unseren Wohlstand. Hoffen wir, dass die Damen und Herren in Bern rasch wieder zur Vernunft kommen und gemeinsam an einer brauchbaren Lösung arbeiten.

Reformbedarf ausgewiesen – Kompromiss unter Beschuss

Ein ähnliches Bild zeigt sich aber auch bei der Reform der Unternehmenssteuern sowie der AHV. Beide Vorlagen sind kürzlich an der Urne gescheitert – obwohl massiver Reformbedarf besteht. Im Ständerat ist nun die Idee entstanden, dass man beide Reformvorhaben miteinander verknüpft. Zwischenzeitlich hat sich diesem Vorschlag auch die zuständige Kommission des Nationalrats in den wichtigsten Punkten angeschlossen. Von Einigkeit sind wir aber dennoch weiter entfernt. Dieses «Päckli» wird zur Zerreissprobe für alle Parteien und Verbände werden. Die einen stimmen dem Vorschlag zähneknirschend zu, andere lehnen ihn offen ab – auch die FDP-Bundeshausfraktion ist noch nicht einig. Gleichzeitig ist der Verknüpfungsvorschlag eben wiederum eine Politik des Kompromisses und unter Umständen die einzige Möglichkeit, die dringend notwendigen Reformen der Unternehmenssteuern sowie der AHV anzugehen – wenn auch nur fürs erste und nicht langfristig. Wir bleiben auch hier gespannt, was die nächsten Wochen und Monate bringen werden.

Unternehmen und Mittelstand entlasten

Die Steuervorlage des Bundes hat auch einen ganz direkten Einfluss auf die Steuerpolitik in unserem Kanton. So ist auch ein Nachtrag zum kantonalen Steuergesetz geplant, der schon hohe Wellen geworfen hat. Die FDP hat im Winter damit gedroht, notfalls in Zusammenarbeit mit der SVP die Steuern pauschal um 5% zu senken. Mit dieser Drohung wollten wir die CVP und die SP dazu bewegen, im Sinne einer ganzheitlichen, wirtschafts- und standortfreundlichen aber auch sozialverträglichen Steuerpolitik zu einer vernünftigen und mehrheitsfähigen Lösung Hand zu bieten. Vordergründig ist unsere Strategie auch aufgegangen – immerhin wurde ein runder Tisch organisiert, an dem die Eckwerte der kantonalen Steuervorlage ausgehandelt wurden. Nur sind die Resultate nun am Schluss des Prozesses ernüchternd. Weder die Unternehmen noch der Mittelstand werden sinnvoll entlastet. Aus diesem Grund haben wir in der Vernehmlassung eine Senkung des Unternehmenssteuersatzes auf 13%, eine Senkung der kantonalen Mindeststeuer für Kapitalgesellschaften auf max. CHF 100.-, die Erhöhung des Versicherungsprämienabzugs um mindestens CHF 900.- sowie eine Erhöhung des Pendlerabzugs auf pauschal CHF 6’000.- verlangt. Diese Forderung werden wir auch im Kantonsrat nochmals mit Nachdruck vertreten. Die kommende Debatte wird aber zeigen, ob wir den Kanton St.Gallen für die Zukunft fit machen können – ansonsten müssen wir dann wohl unsere gemeinsame Ratsmehrheit mit der SVP ausspielen und sowohl die CVP als auch die SP ausboten. Sie sehen: Der Kompromiss ist nicht immer möglich, auch wenn wir ihn zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft grundsätzlich anstreben.

Qualität muss im Zentrum stehen

Neben der Steuer- und Finanzpolitik haben wir im Kanton St.Gallen noch ein weiteres Thema, das ganz direkt unsere Lebensqualität als Einwohnerinnen und Einwohner und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes betrifft: Die Spitalpolitik. Der Aufschrei war gross, als der Verwaltungsrat der Spitalverbunde kommunizierte, dass Umnutzungen bestehender Akutspitäler denkbar sind. In der Bevölkerung, aber auch innerhalb unserer Partei. Unsere Fraktion im Kantonsrat hat aber seit Monaten mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass unsere Spitäler finanziell massiv in Schieflage geraten sind und Handlungsbedarf besteht. Grund dafür sind vor allem externe Faktoren – aber auch hausgemachte Probleme. Wir hatten als Bevölkerung bisher nicht den Mut, unsere Strukturen kritisch zu überdenken und die nötigen Schritte einzuleiten. Über der ganzen Diskussion bzw. über allen Volksvertreterinnen und Volksvertreter hängt vermeintlich das Damoklesschwert der Abwahl. Die NZZ schrieb letzte Woche in Bezug auf ähnliche Diskussion in Zürich vor rund 20 Jahren treffend:

«Und auch jenen Politikern, die lieber Eröffnungen feiern, als Schliessungen bekanntzugeben, könnte das Beispiel Mut machen. Denn Verena Diener wurde trotz diesem radikalen Schritt als Regierungsrätin wiedergewählt und hat nach ihrer Amtszeit auch noch den Sprung in den Ständerat geschafft. Wie das geht: ‹Man muss sich der Bevölkerung stellen und Überzeugungsarbeit leisten›, sagt sie.»

Bevor wir aber Überzeugungsarbeit leisten können, müssen wir uns gemeinsam darüber klar werden, was wir wollen. Bei der aktuellen Debatte sprechen alle von einzelnen Standorten, vom Schreckgespinst der Schliessung. Im Zentrum aber muss doch der Mensch stehen, die Qualität unserer Gesundheitsversorgung. Als Freisinnige sind wir der Auffassung, dass der Staat die Rahmenbedingungen festlegen muss, damit die Leistungserbringer ihre Aufgabe effektiv und effizient erfüllen können. Dabei müssen wir eigentlich nicht über einzelne Spitalstandorte sprechen, sondern uns bewusst machen, dass wir ein strukturelles Problem haben. Ich bemühe nochmals die NZZ um darzustellen, wie unsere Gesundheitsversorgung heute organisiert ist:

«Das Grundproblem dahinter ist, dass die Kantone in einer heiklen Mehrfachrolle stecken. Sie haben die Aufsicht über das Gesundheitswesen, sie legen im Streitfall Spitaltarife fest, übernehmen die Spitalplanung und mischen auch noch selbst im Markt mit. Man stelle sich vor, ein Fussballschiedsrichter würde bei einer WM-Partie eine der beiden Mannschaften coachen und sich dann auch gleich noch selbst als Spieler einwechseln. Fairplay sieht anders aus.»

Konsequenterweise müssten wir zuerst auch dieses Problem angehen, bevor wir grossartig über einzelne Standorte sprechen und Detailkonzepte entwerfen. Dieser Zug ist aber vermutlich abgefahren – so bleibt uns nichts anderes übrig als damit zu arbeiten und das Beste für die Menschen in unserem Kanton rauszuschlagen – hoffentlich immer in Hinblick auf die Qualität, und nicht hinsichtlich regionalpolitischer Befindlichkeiten. Und sollten wir dann doch zum Schluss kommen, dass wir an allen bestehenden Standorten in der heutigen Form festhalten müssen, dann ist es auch unsere Aufgabe, offen und transparent darüber zu orientieren, was uns diese Strukturen als Steuer- und Prämienzahlende jedes Jahr kosten. Alles andere wäre nicht ehrlich.

Verhüllungsverbot

Ich komme zum Schluss und damit zum letzten Thema meiner Ansprache. Am 23. September stimmen wir über den III. Nachtrag zum Übertretungsstrafgesetz ab. Gemeinhin wird die Vorlage als «Verhüllungsverbot» bezeichnet. Der Kantonsrat hat hier ganze Arbeit geleistet! Die Vorlage sieht eine Nulllösung vor, die lediglich dazu dient, ein Problem zu bewirtschaften und keineswegs, es zu lösen. Der Bevölkerung wird regelrecht vorgegaukelt, man habe ein griffiges Verbot erlassen. Fakt ist: Die Vorlage ist ein Papiertiger und reine Symbolpolitik. Die gewählte Formulierung wird zu keiner Verurteilung führen. Die FDP hatte im Kantonsrat einen durchsetzbaren Vorschlag gemacht. Dieser sah vor, dass Behörden gegenüber Personen, die sich weigern, ihr Gesicht zu zeigen, die gewünschte Amtshandlung verweigern können. Dies hat sowohl die CVP als auch die SVP aus populistischen Motiven bekämpft. Wir haben nun also ein Gesetz, das nicht vollziehbar ist und erst noch den gesellschaftlichen und religiösen Frieden gefährdet. Als liberale Partei sollten wir uns deshalb gut überlegen, ob wir dieses Vorhaben unterstützen – oder wie die FDP-Fraktion im Kantonsrat einstimmig NEIN sagen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende und informative Mitgliederversammlung und danke Ihnen nochmals herzlich für Ihr Kommen!

 

Gehalten von Raphael Frei an der Mitgliederversammlung vom 16.08.2018. Es gilt ausschliesslich das gesprochene Wort.